Ängste, Unsicherheiten und traumatische Erfahrungen stören den Zustand der „Normalität“, sie können zum Aufbrechen etablierter Denk- und Beziehungsmuster führen, im besten Fall aber auch zu Innovationen. So bilden sich Identitäten aus, die durch kommunikative und diskursive Beziehungen einem ständigen Wandel unterworfen sind. In dem Projekt gehe ich von der Prämisse aus, dass die Fähigkeit des Menschen, mit der Außenwelt durch Geschichten zu kommunizieren, eine der wichtigsten anthropologischen Konstanten ist. Folglich kann argumentiert werden, dass die Identitätsbildung nur durch eine kontinuierliche sprachliche und narrative Konstruktion möglich ist. Aus diesem Grund ist die vorherrschende Position in der neueren Forschung, dass Identität kein statisches Konzept oder ein starres Produkt ist, sondern ein temporäres Ergebnis der autonomen und heteronomen Bildung des Individuums. Hans-Peter Frey und Karl Haußer beschreiben bereits 1987 Identität als einen Prozess der Selbstreflexion des Individuums: „Identität entsteht aus situativen Erfahrungen, die supra-situativ verarbeitet und generalisiert werden“. Identität beruht auf Konstruktionsprozessen und ist das Ergebnis von Differenzierungs-, Diskriminierungs-, Ausgrenzungs- und Normalisierungsprozessen sowie aller sozialen Beziehungen. Der Begriff der Grenze ist daher zentral für die Konstruktion von Identität: die Abgrenzung von anderen Individuen oder Gruppen anderer Art, die scharfe Abgrenzung des Eigenen vom Fremden, um die eigene Identität zu stärken.
Das Programm des Workshops
3. Oktober 2024 | ||
13.00 | Monika Wolting, Prof. Dr. | Eröffnung |
13.15 | Sabine Egger, Prof. Dr. University of Limerick | Identität und Relationalität in der Gegenwartsliteratur |
13.45 | Ricarda Hirte, Prof. Dr. Universidad de Córdoba | Identitätsschaffung als Erinnerungskonstruktion: hilft das Grundgesetz die Vergangenheit zu bändigen? |
14.15 | Werner Nell, Prof. Dr. Queen’s University Kingston ON | Identitäten und Identitäre. Beschreibungsmöglichkeiten einer Sackgasse |
14.45 | Pause | |
Individuen | ||
15.15 | Emmanuelle Terrones, Prof. Dr. Université de Tours | Auschwitz und deutsche Identität(en). Oder von Navid Kermani und Emine Sevgi Özdamar lernen |
15.45 | Lothar Bluhm, Prof. Dr. TU Kaiserslautern-Landau | „Ist das zufällig die Puppe, die typisch deutsch ist?“ Deutsche Identität im Parabolspiegel eines literarischen Essays Yoko Tawadas |
16.15 | Tatiana Yudina, Prof. Dr. Moskau | Eine deutsche Identität. Am Beispiel der Werke und Interviews von Wolfgang Leonhard (1921-2014) |
16.45 | Jan Süselbeck, Prof. Dr. NTNU Trondheim | Alptraum Heimat. Identitätskonstruktionen in der deutschsprachig-jüdischen Gegenwartsliteratur |
18.00 | Moderation: Monika Wolting | Lesung: Artur Becker |
4. Oktober 2024 | ||
9.00 | Jürgen Wertheimer, Prof. Dr. Universität Tübingen | Herta Müller: Alarmsystem Literatur. Eine Gebrauchsanweisung |
9.30 | Andreas Englhart, Prof. Dr. LMU München | Zwischen Identitätssuche und Posthumanismus. Figuren und Figurationen in aktuellen Theatertexten jüngerer Dramatiker:innen |
West und Ost Identitäten | ||
10.00 | Ilse Nagelschmidt, Prof. Dr. Universität Leipzig | Über eine „neue Mauer“ in den Köpfen. Ostdeutsche Identitäten in der Abgrenzung |
10.30 | Kalina Kupczyńska, Dr. Uniwersytet Łódzki | Unheimlich vertraut – Autobiografie und ostdeutsches Imaginarium in Anke Feuchtenbergers „Genossin Kuckuck“ (2023) |
11.00 | Pause | |
11.30 | Raluca Rădulescu, Prof. Dr. Universitatea din București | Maritime Identitäten in der deutschen Literatur nach 2000 |
12.00 | Jana-Katharina Mende, Dr. MLU Halle | Figurenkonstellationen und Identitätsfragmente in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Postmigrantische Perspektiven |
12.30 | Aglaja Blioumi, Prof. Dr. Universität Athen | Interkulturelles Familiengedächtnis zwischen Migrations- und Postmigrationsliteratur |
13.00 | Anna Majkiewicz, Prof. Dr Universität Częstochowa | Das In-Frage-gestellt-Sein im postmigrantischen Roman Shida Bazyars „Drei Kammeradinnen“ |
13.30 | Pause | |
Religiöse Identitäten | ||
14.30 | Andrzej Denka, Prof. Dr. UAM Poznań | Religiös(e) Identität(en) im ‚postsekularen‘ Zeitalter? Einige Bemerkungen u.a. am Rande des Werkes von Patrick Roth |
15.00 | Rossella Pugliese, Prof. Dr. Università della Calabria | Lena Gorelik: Spracherleben und sprachliche Identätszuschreibungen einer ‘russisch-deutschen’ Schriftstellerin |
15.30 | Ewa Jarosz-Sienkiewicz, Prof. Dr. Uniwersytet Wrocławski | Wenn man nirgends zu Hause ist…. Die Identitätsfrage im Leben und in den Texten von Herta Müller |
16.00 | Pause | |
16.30 | Anna Pastuszka, Prof. Dr. UMCS Lublin | Verlusterfahrungen und Leerstellen in Judith Schalanskys „Verzeichnis einiger Verluste“ und Esther Kinskys „Hain. Geländeroman“ |
17.00 | Pako Sarambe, MA Université de Tours | Vergangenheitspolitik und Identität im Roman „Adas Raum“ (2021) von Sharon Dodua Otoo |
17.30 | Manuela Graf, MA Uniwersytet w Częstochowie | Liminale Identitäten in der deutsch-irischen interkulturellen Literatur |
18.00 | Aleksandra Jaworska, MA Uniwersytet Wrocławski | Die Problematik der Suche nach der eigenen Identität und Heimat in „Katzenberge” und „Sibir” von Sabrina Janesch |
5. Oktober 2024 | ||
Migrationsidentitäten | ||
9.00 | Eliza Szymańska, Prof. Dr. Uniwersytet Gdański | Alienität – Liminalität – Mimicry. Zur Triade der Identitätsnarrative in den Texten der deutsch-polnischen Autor:innen |
9.30 | Mahmut Karakus, Prof. Dr. İstanbul Üniversitesi | Diversität als identitätsbildende Dimension in Zeiten globaler Mobilität. Am Beispiel der Erzählung „Alles fängt mit A an“ von Selim Özdogan |
10.00 | Arianna Di Bella, Prof. Dr. Università di Palermo | Dilek Güngors „Ich bin Özlem“ – eine Frau auf dem Weg zur Wahrnehmung des eigenen Ichs |
10.30 | Pause | |
11.00 | Jana Piper, Dr. | Auf der Suche nach einer (kulturellen) Identität: Die Figuren der Töchter in Fatma Aydemir „Dschinns“ |
11.30 | Agnieszka Palej, Prof. Dr. Uniwersytet Jagielloński, Kraków | Identität in der Fremde – Zur Identitätsproblematik in Mariusz Hoffmanns Roman „Polnischer Abgang” (2023) |
12.00 | Kirsten Prinz, Dr. Universität Giessen | Jugend, Flucht, Ankommen in der aktuellen Gegenwartsliteratur |
12.30 | Monika Wolting, Prof. Dr. Uniwersytet Wrocławski | Nebelkinder. Literarische Einblicke in die Psyche der Kriegsenkel |
13.00 | Pause | |
14.00 | Moderation: Stephan Wolting, Prof. Dr. UAM Poznań | Lesung: Jaroslav Rudiš |
15.30 | Abschluss der Tagung |